Thursday, January 11, 2007

"Wenn ich genug Servietten beisammen habe, mache ich einen Film."

[David Lynch 1990 im Interview mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG]

Versuchen Sie doch bitte einmal, Ihr Schönheitsideal zu beschreiben.

Ich weiß nicht, ob sich hinter den Dingen, die ich als schön empfinde, eine Idealvorstellung versteckt. Ich finde sehr verschiedene Sachen schön: den Anblick von zerbrochenem Glas zum Beispiel oder eine Öllache am Boden. Haut - gibt es etwas Schöneres? Nur Rauch im Himmel ist fast so schön. Oder Draht. Auch Zähne.

Haben Zähne und Öl am Boden einen geheimnisvollen Zusammenhang?

Da schlummert ein psychologischer Zusammenhang. Nehmen wie die Zähne: Sie sind sehr hart, und sie stecken im Mund, der sehr weich und verletzlich ist. Mich fasziniert immer, wenn Gegensätze einander berühren. Öl und Zement. Oder eine Fabrik am Meer. Das Meer allein, also ohne Fabrik, ist in meinen Augen nicht schön. Erst die Transformation durch den Menschen macht Natur schön. Eine Ölraffinerie in der Wüste. Eine Fabrik in der Landschaft.

Bei Frauen machen Sie offenbar eine Ausnahme, da deckt sich Ihr Geschmack mit dem klassischen Schönheitsideal. Ihre Frau ist Isabella Rossellini.

In jedem von uns steckt eben die Fähigkeit, Widersprüchliches gleichermaßen schön zu finden. Ich bin da keine Ausnahme. Das ist ganz normal.

In Ihren Filmen halten Sie das Vergrößerungsglas erbarmungslos öber die angebliche Normalität. Bei näherer Betrachtung wir die Idylle zum Horror und der nette Mitmensch zum Monster. 'Blue Velvet' beginnt mit einem harmlosen Spaziergänger im Wald, der auf einmal ein abgeschnittenes Ohr findet.

Es passieren halt merkwördige Dinge im Wald. Ich bin in Montana aufgewachsen. Man hört da die seltsamsten Geschichten. Aber die Leute erzählen nur zehn Prozent von dem, was sie wissen. Den Rest muß man selber im Unterholz rausfinden.

Waren Sie schon als Junge fasziniert von dieser verheimlichten Kehrseite der Kleinbürgerwelt, von diesem Geheimnis im Unterholz?

Ich habe es genossen. Dadurch wurde ich mit Ideen abgefüllt, mit Stimmungen und phantastischen Bildern. Aber ich glaube, es ist ganz egal, wie man aufwächst. Jede Umgebung ist spannend, wenn man nur richtig hinschaut.

Holen Sie Ihre Inspiration auch in Träumen?

Nein, nicht wenn Sie die Träume im Schlaf meinen. Ich hänge gern Tagträumen nach, das schon. Aber dazu müssen die Voraussetzungen optimal sein, das heißt: Ich muö in einem hell erleuchteten Raum sitzen, in dem totale Ordnung herrscht. Zum Beispiel ein Coffee-Shop. Da lasse ich dann meine Gedanken wandern, da kann ich mich im Geist in phantastische Gefilde wagen - und wenn`s mir plötzlich mulmig wird, kann ich sofort wieder zurückkehren in meinen Coffee-Shop. Auf dem Tisch steht so ein kleiner Papierserviettenhalter. Auf den Servietten notiere ich meine Gedanken. Das ist ganz praktisch. Wenn ich genug Servietten beisammen habe, mache ich einen Film.

Waren Sie schon mal bei einem Psychiater?

Ja, eine Stunde lang.

Diagnose 'Hoffnungsloser Fall'?

Es kam gar nicht erst zur Diagnose. Meine Befürchtung war von Anfang an, daß im Zuge der Therapie auch meine Kreativität verlorenginge. Ich habe das dem Psychiater mitgeteilt, und er war ein sehr ehrlicher Mann, der mir sagte: Ja, das kann passieren. Daraufhin habe ich mich verabschiedet.


Stimmt es, daß Sie seit Jahren immer in dasselbe Lokal gehen und dort immer dasselbe essen?

Ja. Immer um halb drei Uhr nachmittags. Seit sieben Jahren. 'Bob`s Big Boy' heißt der Laden, eine ganz normale Kneipe in Los Angeles. Es hat einen enormen Vorteil, immer dasselbe zu essen: Man muß beim Bestellen keine Gedanken verschwenden. Allerdings hatte ich an mir selbst gemerkt, daß mit der Zeit die Genußfähigkeit irgendwie ausbrennt. Dann hat man ein Problem.

Nennen Sie ein paar Bücher, die Sie nicht losgelassen haben.

Ich greife nur zu Böchern, die mir gute Laune machen. Zum Beispiel Kafka.

Merkwürdig, was Sie so aufheitert.

Ich versuche halt, in meinem Leben soviel Spaß zu haben wie möglich. Ich bin ein 'Funaholic'.

In Ihrem Film 'Wild At Heart' erreicht Ihr Spaß an der Brutalität die Schmerzgrenze.

Ich bilde Gewalttätigkeit ja nie realistisch ab, sondern rücke sie ein kleines Stöck - nicht zu weit, nur eine Spur - ins Poetische. Ich will, daß der Zuschauer berührt wird von der Macht, die vom Ringen zwischen Leben und Tod ausgeht.

Es geht das Gerücht um, daß Sie auch privat gelegentlich ein abgeschnittenes Ohr aus der Tasche ziehen, um Leute zu erschrecken.

Hier und da mal. Die Leute meinten dann jeweils, daß es das Ohr aus 'Blue Velvet' sei. Aber es war nicht dasselbe Ohr. Es war einfach ein Ohr, das mir jemand mal per Post zugeschickt hat. Ein Gummi-Ohr. Ich hatte es zufällig in der Tasche. Ich weiß nicht wieso. Ich habe viele seltsame Sachen in der Tasche.

War Filmemacher schon immer Ihr Traumberuf?

Nein. Ich bin in einer Art Ei aufgewachsen. Nichts berührte mich so richtig, bis ich etwa neunzehn Jahre alt war. Mit neunzehn kam ich nach Philadelphia. Dort wachte ich auf. Ich hatte meinen ersten eigenen Gedanken in Philadelphia. Dann zogen wir an die Ostköste und ein neuer Freund sagte mir, sein Vater sei Maler. Kunstmaler. Für mich war das ein überwältigendes Erlebnis: Ich dachte immer, daß man aufhören muß zu malen, wenn man erwachsen ist. Von diesem Moment an wollte ich Maler werden. Ich malte die Nächte hindurch - und eines Tages hatte ich diesen Gedanken: Das, was ich male, drückt etwas von mir aus. Ich spürte plötzlich, daß da in mir etwas ist, etwas sehr Persönliches. Die Lust zu malen hat mich bis heute nicht verlassen. Wenn ich Zeit habe, stürze ich mich immer noch wie wahnsinnig in die Malerei.

Oder in die Musik?

Musik beschäftigt mich sehr stark, das ist wahr. Mit dem Komponisten Angelo Badalamenti zusammen habe ich eine Symphony geschrieben, die 'Industrial Symphony Nr. 1'. Musik ist für mich überhaupt die ideale Methode, um Stimmungen zu schaffen. Musik ist für mich aber auch, wenn ich in Fabriken gehe und diese gewaltigen Maschinen sehe und höre - das ist orchestrierte Konstruktion. Ich liebe Fabrikhallen, am meisten Stahlhütten. Maschinen faszinieren mich. Aber vor allem liebe ich Autos. Die Idee, daß man Metallteile in bestimmter Weise ineinanderklinkt, und auf einmal bewegt sich das, und man kann damit fahren - magisch.

Haben Sie noch Ihren schönen alten Packard?

Nein, den habe ich verkauft. Ein Auto zu besitzen, birgt sehr viel Kummer in sich: Ständig ist irgend etwas kaputt, die Reparaturen verschlingen Geld - frustrierend. Aber, keine Frage, das Auto schenkt einem phantastische Erlebnisse. Es ist doch hochinteressant, wie man sich verändert, je nachdem in was för einem Auto man sitzt. Die Stimmung ändert sich, das ganze Selbstwertgefühl.

Die Szenerie in Ihren Filmen, die trügerische Idylle, kommt mir oft wie ein amerikanisches Bayern vor. Waren Sie schon mal in Bayern?

Ja. Ich hatte einen bayerischen Onkel. Er war Maler und lebte in der Nähe von München. Jürgen Prochnow hat mich mal in sein Haus in Bayern eingeladen. Merkwürdig, die Stimmung in Jürgens Haus erinnerte mich an etwas. Die Struktur des Wandverputzes, das Licht in den Räumen, die Ruhe - unglaublich, plötzlich fühlte ich mich zurückversetzt in die Welt meiner Kindheit.


Interview von Christan Kümmerling
© Süddeutsche Zeitung 1990