Tuesday, April 24, 2007

"Den Traum, Filme zu machen, den liebe ich."

[David Lynch im Interview mit DIE ZEIT zu INLAND EMPIRE]

Herr Lynch, im November letzten Jahres haben Sie sich mit einer Kuh auf den Hollywood-Boulevard gestellt, neben einem Plakat mit der Aufschrift „For Your Consideration“, um auf die oscarreife Leistung Laura Derns in INLAND EMPIRE aufmerksam zu machen. Was sollte die Kuh?

Ich hatte nicht das Geld, die üblichen Wege zu beschreiten, um die Academy auf Lauras Leistung hinzuweisen. Also hatte ich die Idee mit der Kuh, die fast nichts kostete, aber als Nachricht in der ganzen Welt die Runde machte. Leider hat sie Laura trotzdem keine Oscar-Nominierung eingebracht. So gesehen, ist die Sache gescheitert.

Woher hatten Sie das Tier?

Das war eine Mietkuh, die auch in Werbeclips aufgetreten war. Georgia, das ist ihr Name, hat schon für Milch Werbung gemacht. Sie war ein unglaublicher Profi, sie stand einfach nur da und war ganz sie selbst.

Was stand am Anfang von INLAND EMPIRE?

Ich traf Laura Dern auf der Straße. Ich stand vor meinem Haus, sie kam des Wegs, lächelnd, und erzählte mir, dass sie mein neuer Nachbar ist, worüber wir beide sehr glücklich waren. Sie sagte, wir sollten mal wieder zusammen was machen. Und ich sagte, yeah, machen wir, und fing an, über sie nachzudenken, und plötzlich kamen lauter Ideen.

Wann wurden sie zu einer Geschichte?

Es geht immer auf dieselbe Weise los. Mein Bild dafür ist, dass jemand im Zimmer nebenan vor einem fertigen Puzzle sitzt und mir einzelne Stücke davon zuwirft. Ich weiß anfangs nicht, was es bedeuten soll, ich weiß nur, dass ich dieses kleine Puzzlestück mag. Ich schreibe es auf, und dann kommt noch ein Stück, und ich schreibe es wieder auf, und nach und nach wird das Bild klarer und entwickelt sich.

Einer der vielen Handlungsstränge in INLAND EMPIRE ist eine surrealistische Sitcom über Leute mit Hasenköpfen, die Sie für Ihre Website davidlynch.com gedreht haben. Woher kam dieses Puzzlestück?

Wissen Sie, wann immer man eine Idee hat, ist sie in deinem Kopf, ein mentales Bild, und dann muss man sie in ein anderes Medium übersetzen. Wenn es ein Film ist, muss man eine Kulisse bauen, es sei denn, man findet einen Ort, der dem genau entspricht. Die Idee führt einen. Was immer man braucht, findet man, oder man organisiert es.

Die Hasenköpfe mit den Fernsehdialogen und den eingespielten Lachern vom Band sind irgendwie unheimlich, beängstigend.

Naja, alle Menschen sind verschieden.

Finden Sie sie nicht beängstigend?

Es kommt nicht darauf an, was ich denke, sondern was Sie denken. Ich habe die Sache mit den Hasen sehr früh gedreht, aber erst mal beiseite gelegt. Wenn eine Idee kommt, weiß man nie, wo ihre erste oder zweite Heimat sein wird. Man weiß nie, welche Richtung die Dinge nehmen werden.

Ein wesentlicher Teil des Film ist in der polnischen Stadt Lodz entstanden, die Sie bei einer Reise zum dortigen Filmfestival Camerimage entdeckt haben. Was wäre gewesen, wenn Sie nicht nach Lodz gefahren wären, sondern in irgendeine andere Stadt? Wäre INLAND EMPIRE dann vielleicht gar nicht entstanden oder als ein ganz anderer Film?

Ich war an vielen Orten in jenen drei Jahren, die ich an dem Film gearbeitet habe, aber die Ideen kamen mir nun mal in Lodz und nicht anderswo. Interessant, nicht? Die Ideen zu INLAND EMPIRE sind dort entstanden und haben sich dann mit anderen Ideen verbunden, die in Hollywood entstanden sind. Das sind nicht meine eigenen Erfahrungen, es sind Bilder, die aus dem Ort selbst entspringen. Orte erzeugen ihre eigenen Gedanken. Ich muss sie nur auffangen. Man kann das mit einem Koch vergleichen, der den Fisch ja nicht macht, sondern ihn fängt und dann kocht. Da ist also der Fisch, und man sagt „Wow!“ und verliebt sich in ihn.

Was mochten Sie an Lodz?

Großartige Architektur. Phantastische Stimmung im Winter. Tiefhängende Wolken und Winterlicht.

Eine Atmosphäre von Zeitlosigkeit?

Für mich war es brandneu.

Die Frage bleibt, wie die einzelnen Teile bei Ihnen zusammenkommen.

Sie ergeben immer ein Ganzes. Manchmal ist es frustrierend, dass sie nicht in der logischen Reihenfolge kommen, aber das ist eben Teil des Prozesses. Das war schon mein ganzes Leben so, dass die Filme sich mir Stück für Stück offenbaren und ich nicht weiß, was das Ganze ergeben wird, ehe es da ist. Üblicherweise schreibe ich ein Drehbuch und füge die szenischen Ideen darin ein. In diesem Fall war es anfangs so, dass ich keine Ahnung hatte, was die Szenen miteinander zu tun haben. Aber je mehr kamen, desto klarer sah ich, wie alles zusammenhängt.

Passierte das im Schnitt oder schon bei den Dreharbeiten?

Die zweite Hälfte ist mehr auf die traditionelle Weise entstanden, weil ich zu diesem Zeitpunkt meine Einfälle zusammenhatte. Wenn man am Schneidetisch dann das Ganze sieht, ergibt sich wieder ein anderer Prozess, weil einige Dinge wegfallen und andere hinzukommen.

Überrascht es Sie manchmal, dass Sie in Hollywood ein Außenseiter sind?

Kein bisschen. Ich habe als Maler angefangen und mich für Film gar nicht interessiert. Ich hatte Glück, weil ich Film als etwas ganz anderes sehe, als es in Hollywood üblich ist. Ich liebe Hollywood als Ort zum Leben. Ich arbeite aber nicht im System. Ich habe nie einen traditionellen Studiofilm gedreht.

Aber man spürt Ihre Liebe zu alten Filmen.

Ich liebe Hollywood, ich liebe die ganze Chose. Den Traum, Filme zu machen, den liebe ich. Ich bin nur nicht drin.

Woher kommt die Zahl 47, die in INLAND EMPIRE eine düstere, magische Bedeutung hat?

Sie war plötzlich da. Ich sehe solche Dinge, so wie ich ein Stück Film sehe. Manchmal taucht etwas auf, und dein Gehirn fängt an zu arbeiten an, um dahinterzukommen, was die Dinge bedeuten, die dir auf deinem Weg begegnen. Für mich hat diese Zahl eine bestimmte Bedeutung, aber darüber rede ich nicht. Wie das mit abstrakten Ideen so ist: sie ergeben für jeden einen anderen Sinn.

Ein wiederkehrendes Motiv in Ihren Filmen, auch in INLAND EMPIRE, ist die untreue Ehefrau. Untreue ist in Ihrem Kosmos ein Art Kapitalverbrechen. Wie kommt das?

Keine Ahnung. Es muss wohl was mit mir zu tun haben, weil ich ganz vernarrt in die Sache bin.

Auch Häuser spielen eine wichtige Rolle in Ihren Filmen. Sie sind Orte der Angst, der unheimlichen Begegnungen, der Klaustrophobie. Auf Ihren Zeichnungen und Gemälden werfen sie düstere Schatten. Haben Sie schlechte Erfahrungen mit Häusern?

Das hat nicht wirklich was mit mir zu tun. Ich habe keine Angst vor meinem Haus. Aber ich begreife, dass man sich in einem Haus fürchten kann, wenn man nicht weiß, was sich am Ende des Flurs befindet. In der Welt ist es doch genauso: Wir fürchten das Unbekannte und sind doch davon angezogen.

Das Schweigen um die Ecke?

Das Unbekannte um die Ecke. Die Vorstellung, dass da auch etwas unter der Oberfläche ist. Dinge, die man spürt, über die man aber nichts Genaues weiß. Ein Gefühl eben.

Welche Anweisungen geben Sie Ihren Schauspielern?

Was immer es braucht, um sie dazu zu kriegen, auf derselben Wellenlänge wie die Ausgangsidee zu existieren. Der Gedanke ist da, die Schauspieler sind da, und wir proben. Sie haben ihre eigenen Vorstellungen, manchmal sind sie näher dran, manchmal weiter weg. Wenn sie nur knapp danebenliegen, muss man mit Worten versuchen, zu kommunizieren, was falsch an ihrem Ansatz war. Und irgendwann fangen sie etwas auf, was meiner Vorstellung entspricht, manchmal nur für eine einzelne Szene, manchmal für die ganze Rolle. Dann braucht es nur noch wenige Worte: Erinnere dich hieran, erinnere dich daran.

In Ihren Filmen gibt es keine Handys. Hassen Sie Mobiltelefone?

Naja, ich mag eben zeitlose Ausstattung. In „Eraserhead“ gab es auch keine Autos. Das ist keine bewusste Entscheidung. Es ist nur so, dass man etwas sieht und sich sagt, nein, nein, das ist es nicht. Außerdem ändert sich die Technologie so schnell, dass Mobiltelefone bald wieder alt aussehen werden.

Was mochten Sie an Lodz?

Großartige Architektur. Phantastische Stimmung im Winter. Tiefhängende Wolken und Winterlicht.

Eine Atmosphäre von Zeitlosigkeit?

Für mich war es brandneu.

Hat die Digitalkamera Ihr Verhältnis zum Filmemachen verändert?

Sehr sogar. Sie hat mir viel mehr Freiheit gegeben, mehr Vergnügen am Drehen und das Gefühl, wesentlich weniger Druck zu haben. Ich vergleiche es mit zwei Arten von Lebensgefühl: Das eine ist ein Donnerstagmorgen, du hast nicht gut geschlafen, der Wecker hat nicht geklingelt, keine Zeit für ein ordentliches Frühstück, noch nicht einmal für eine gute Tasse Kaffee, es regnet, du stehst im Stau und hast ein superwichtiges Treffen mit einem Boss, der dich auf dem Kieker hat. Diese Art finsteren Schreckens macht einem anderen Lebensgefühl Platz, das wie ein Samstagmorgen ist, die Sonne scheint, du wachst total erfrischt auf, isst dein Lieblingsfrühstück, hast ein ganzes Wochenende vor dir mit Zeit für alles, was du schon immer machen wolltest. Die Leute sagen natürlich, wenn du das alles so toll findest, David, wie kannst du dann solche schrecklichen Geschichten erzählen?

Und? Wie kann man?

Wenn man von Anfang bis Ende nur vom Glück erzählt, würde man sich zu Tode langweilen. Geschichten leben von Kontrasten. Am Ende läuft es doch darauf hinaus, dass der Künstler nicht selbst leiden muss, um Leiden zeigen zu können. Man muss das Leid verstehen und die Geschichten, die daraus entspringen. Das nennt sich atma, das Selbst, ein Ozean des reinen Bewusstseins. Es heißt, erkenne dich selbst, das ist das Feld, das ist es, wo alles herkommt, uns eingeschlossen, das ist unsere Heimat. Man ist hier und genießt es und versteht immer mehr, und man wird ganz verrückt und steht frühmorgens schon auf mit einem Kopf voller Ideen, und alles, was einen bis dahin gequält hat, hebt sich wie ein Gewicht von dir.

Aber Sie müssen doch immer noch diese düsteren Seiten in sich haben. Diese Frau mit dem Schraubenzieher im Bauch, das ist ja nicht etwas, was man sieht, wenn man glücklich ist.

Diese Gedanken machen mich glücklich, ich schwöre es Ihnen. Ich liebe diese Geschichte, ich weiß nicht, warum ich sie so sehr liebe, aber so ist es. Ich liebe, was das Kino damit macht, ich liebe den Trip, der da abgeht.

Das Interview führten Michael Althen und Andreas Kilb © 2007 DIE ZEIT. Auf Wunsch von Mr. Lynch wurde die in der ZEIT wiedergegebene Namensnennung "Inland Empire" in INLAND EMPIRE verändert.

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