Wednesday, April 25, 2007

"Von der Kunst zum Kino und zurück" - Teil 1: DAVID LYNCH

[Georg Seeßeln in der EPD Film 4/2007 über David Lynch und INLAND EMPIRE]

David Lynch gehörte in den Achtzigerjahren zu den wenigen Regisseuren, die nach dem Scheitern von New Hollywood eine sehr eigenwillige Filmsprache in die Traumfabrik retten konnten: ein Autor, dessen Karriere vom Kampf des Künstlers mit dem Apparat gekennzeichnet war und an Höhen und Tiefen reicher war als die der meisten Filmemacher seiner Generation. Frühen Ruhm brachte ihm der unter den Bedingungen des Underground Movie entstandene 'Eraserhead' (1976) ein, ein düsteres, verschlüsseltes, albtraumhaftes und zugleich tief komisches Werk, das ebenso gut in die Kultvorstellung der Midnight Movies wie in die Kunstgalerien passte. Mit 'Der Elefantenmensch' (1980) bewies Lynch, dass er auch mit den Gegebenheiten der professionellen und arbeitsteiligen Filmindustrie umgehen und Narrationsregeln befolgen konnte, ohne seinen Stilwillen zu verlieren. Aber dann entstand mit der Verfilmung von Frank Herberts 'Dune – Der Wüstenplanet' (1984) ein wahres Fiasko, das Dokument eines verlorenen Kampfes, eine der schönsten Filmruinen der Kinogeschichte. Jemand wie Lynch konnte das mittlere Kino der Qualität revolutionieren, nicht aber das Fantasy-Blockbuster-Kino.

Eine Art Friedensangebot zwischen der Produktion De Laurentiis und dem Autor war die Möglichkeit, einen „kleinen“ Thriller zu drehen, und so entstand 'Blue Velvet' (1986), ein verstörender Blick auf die Nachtseite der amerikanischen Provinz und eine Reise ins Unbewusste mit ganz und gar neuen Mitteln. 'Blue Velvet' war wie ein Aufbruchsignal für ein Kino, das man später „postmodern“ nannte und das sich vom Diktat der klassischen Script-Logik zu befreien begann. Und mit 'Blue Velvet' begann auch die Arbeit der internationalen Lynch-Dechiffrierungsverschwörung; an keinem anderen Regisseur arbeiteten sich die Fans, die Kritiker, die Theoretiker und Leute, die von alledem ein bisschen sind, so ab wie an den geheimnisvollen, anspielungsreichen, irritierenden, traumhaften, mehrfach übermalten, ironischen, gewaltsamen und nicht zuletzt ungeheuer schönen Bildern von David Lynch.

Mit 'Wild At Heart' (1990) drehte Lynch eine furiose, aber gegenüber dem streng komponierten 'Blue Velvet' fast verspielte und zugleich in seinen Gewaltszenen sogar als obszön empfundene Variation seiner Motive, die das gerade erst entstandene Lager der Lynch-Aficionados auch schon wieder spaltete. Erneut drohte Lynch wieder vom Zentrum an die Peripherie der Bilderfabrikation gedrängt zu werden, zumal er sich zwischen den Filmprojekten eher für den Kunst- als für den Kinodiskurs interessierte. Zwischen den Filmen organisierte er Ausstellungen seiner Gemälde, seiner Fotografien und seiner Möbelkreationen, drehte bizarre Musikclips wie „Industrial Symphonies“ und verweigerte sich, gewiss gestützt auf seinen mittlerweile unbestrittenen „Kult-Status“ zwischen Pop und Kunst und Hollywood, zwischen Trash- und High-Culture, zwischen Europa und den USA, den üblichen Traumfabrikritualen.


Das nächste große Comeback war die gemeinsam mit Mark Frost konzipierte Fernsehserie 'Twin Peaks' (1989), ein „Mystery-Crime avant la lettre" und eine lange, mäandernde Reise in den sozialen und sexuellen Untergrund einer kleinen Stadt im Norden der USA. Satire, Mysterienspiel, Krimi und das Spiel mit den Lynchismen machte eine Fangemeinde süchtig; 'Twin Peaks' wurde zu einem der größten Fernseh-Kulte der frühen Neunzigerjahre. Noch einmal gelang das Kunststück, eine ganz und gar eigensinnige, provokative und nach wie vor geheimnisvolle Bildwelt auf dem Mainstream-Markt durchzusetzen. Lynch musste nach Abschluss der Serie noch einmal an diesen magischen Ort zurückkehren, und mit dem Kinofilm Twin Peaks: 'Fire Walk With Me' (1992) drehte er einen Nachklang, der beide Zuschauergruppen ratlos machte, jene, die sich eine Fortsetzung, und jene, die sich eine Erklärung für die TV-Serie gewünscht hatten. Zumindest kommerziell ausgesprochen glücklose weitere Fernsehprojekte wie 'On the Air' folgten, Werbeclips für Yves Saint Laurent und Calvin Klein, gescheiterte Projekte wie eine Verfilmung von Franz Kafkas 'Verwandlung'. Der Film 'Lost Highway' (1996) entstand dann schon unter ganz anderen Produktionsbedingungen. Gedreht wurde in Lynchs eigenem Haus, für die bescheidene Budgetierung sorgten die europäischen Partner von Canal plus. In den USA reichte der Film nicht mehr über den Kreis der Arthouses hinaus, und während sich die Dechiffrierungskommandos wieder auf die endlos geflochtene Geschichte vom Mörder, der sich in einen anderen verwandelt, und auf eine Geschichte, die die Unterseite einer anderen Geschichte ist, stürzten, blieb die Begeisterung des Kults ebenso aus wie die Anerkennung durch das 'offizielle' Hollywood. In den Film- und Philosophieseminaren Europas freilich war 'Lost Highway' Anlass für wahrhaft unendliche Bearbeitung.

In einer Geste, der man durchaus Ironie unterstellen könnte, drehte David Lynch 1999 daraufhin den Film, den niemand von ihm erwartet hätte, und nannte ihn 'The Straight Story' (deutsch: 'Eine einfache Geschichte'). Eine sehr menschliche, scheinbar einfache Geschichte von einem alten Mann (namens Straight), der vor seinem Tod seinen Bruder noch einmal sehen möchte, um sich nach langem Streit mit ihm zu versöhnen, und der dafür mit einem umgebauten Rasenmäher durch Amerika reist (durch ein Amerika, an dem an allen Ecken und Enden die Lynchsche Unterwelt aufzubrechen droht). Hatte Lynch seinen Frieden mit Amerika und seinen straight stories gemacht? Mit 'Mulholland Drive' (2001) kehrte der Regisseur zu seiner irrealen, verspiegelten und verflochtenen Erzählweise zurück; wieder erzählt er die Geschichte eines Menschen - diesmal ist es eine junge Schauspielerin, die nach Hollywood kommt -, der über die Grenzen zwischen verschiedenen Geschichten und verschiedenen Identitäten gerät. 'Mulholland Drive' versöhnte die Aficionados des Lynchismus, durch die düster-schöne Stimmung, den Sex Appeal, die Musik und die Musikalität, den Reigen der Motive und Obsessionen dieses Künstlers. Und noch einmal schaffte es David Lynch, das Kino mit seiner Kunst zu erobern. Aber in die veränderte Filmlandschaft passte ein Film wie 'Mulholland Drive' nicht mehr als Signal ästhetischer Revolte, sondern nur noch als respektierter Klassiker der Filmmoderne. Nur wenige Kritiker bemerkten, dass David Lynch dabei nicht nur eine Perfektion seiner Mittel erreicht, sondern auch im eigenen Werk einen großen Schritt nach vorn gewagt hatte. Konnte man die Filme von David Lynch bis 'Lost Highway' als verschlüsselte, magische Autobiografien (und mystische, satirische Amerika-Bilder) lesen, so wendet er sich in den Film-im-Film-Filmen mit den weiblichen Hauptfiguren vor allem dem eigenen Medium und der eigenen Kompositionslehre zu.

Sex, Gewalt, Schrecken, Schock, Albtraum, Wunder, der Tod und etwas, was jenseits von ihm geschieht, umgekehrte Geburten, bizarre Gestalten aus Märchen, die aus den Fugen geraten sind, die Lynch-Ikonografie der Hotelflure und Flackerlichte, seltsamen Bühnen hinter schweren Vorhängen, die Ästhetik der Verlangsamung, das industrielle Rauschen aus einer fremden Außenwelt, die schrägen Musiknummern dazwischen, die Übertragung von Ähnlichkeiten in Fremdheiten, die Traum-im-Traum-Sequenzen, die Transzendenz-Bilder, die absurden Americana, David Lynch-regulars, die Konstruktion der Handlung in autonomen Zellen, die Wiederkehr von Zeichen und Farben, selbst die Bewegung der Protagonisten am Leitfaden von Angst und Begehren - all das gibt es auch in David Lynchs neueren Arbeiten. Aber es ist mit einem solchen Formbewusstsein und mit solch innerer Harmonie bearbeitet, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, die größte denkbare Weltpanik sei da mit der größten möglichen Ich-Gelassenheit verbunden.

David Lynchs Hinwendung zur 'transzendentalen Meditation' und zur 'Foundation for Consciousness-Based Education and World Peace' hat seine Filme offensichtlich an der Oberfläche nicht friedlicher und harmonischer gemacht. Würde man dies innerhalb eines Lynch-Filmes sehen, so wäre ohnehin nicht zu klären, wie viel Ironie und Brechung es enthält. Und doch ist das System Lynch offener geworden. Und die Sehnsucht nach dem harmonischen Maß so überwältigend wie die Zärtlichkeit gegenüber dem einsam leidenden Menschen. Die Produktionsbedingungen für Lynchs Filme entfernen sich zunehmend von denen der Traumfabrik und nähern sich denen des solitären Künstlers an. Inland Empire hat er selber finanziert, mit ein wenig Hilfe von Canal plus. Lynchs Frau Mary Sweeney übernahm die Produktion, und über das Budget herrscht Stillschweigen, vielleicht weil es im traditionellen Sinn ganz einfach nicht existierte. Die Stars werden ganz sicher nicht die Gagen erhalten haben, wie sie sie aus ärmeren Hollywoodproduktionen gewöhnt sind, und ihren Marktwert werden sie nicht unbedingt erhöhen; sie arbeiten aus anderen Motiven mit David Lynch. In die Kinos der USA kam der Film nicht mehr über einen normalen Verleih; der Regisseur musste die Distribution und die Werbung (vorzugsweise über das Internet) selbst übernehmen. Ein Armutszeugnis für die amerikanische Filmkultur, schimpften Kritiker, die den Film mehrheitlich mit Sympathie erwarteten. Aber vielleicht eine vollkommen konsequente Entwicklung. Lynchs 'Bewerbung' für den Oscar war eine entsprechende Aktion zwischen Poesie und Protest: Er führte eine Kuh auf dem Sunset Boulevard spazieren, um darauf aufmerksam zu machen, dass Laura Dern den Academy Award verdient hätte. Dort aber, wohin David Lynch und Laura Dern in Inland Empire hingelangt sind, gibt es keine Oscars mehr.

(... to be continued ...)

Erster Teil eines Essays von Georg Seeßlen © 2007 EDP Film. Auf Wunsch von Mr. Lynch wurde die hier wiedergegebene Namensnennung "Inland Empire" in INLAND EMPIRE verändert.

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