Tuesday, May 08, 2007

"Das Böse war geboren"

[Fritz Göttler in SÜDDEUTSCHE ZEITUNG über INLAND EMPIRE]

Hier kommt das Allerletzte aus Hollywood, Kalifornien, "where stars make dreams and dreams make stars" - so verheißt es, großspurig und völlig unglaubwürdig, William H. Macy, in einer Kurzeinlage als Werbesprecher einer abgehalfterten Talkshow. David Lynchs neuer Film räumt auf mit den letzten Resten des amerikanischen Kinotraums. Am Ende wird Blut gespuckt auf die Sterne am Hollywood Boulevard, wo nun die Nutten und die Obdachlosen herumlungern.

INLAND EMPIRE, erklärt Lynch, das ist das Gebiet östlich vor Los Angeles, das San Bernardino Valley, Pomona. Er liebt das verschachtelte L.A. von heute. Seine Empfehlung: "Man hat verschiedene Welten an einem Ort. Das ist großartig. Man muss nur den Bus nehmen und wechselt von einer Welt in die andere."

Man zögert erst mal, jemanden in diesen Film zu schicken. Er ist monströs, pathetisch, überladen, komisch, brutal. Er kennt kein Mitleid mit den Zuschauern, kein Entgegenkommen. Aber wenn man mal die Momente der Verwirrung, der Verstörung, der Verzweiflung hinter sich hat, möchte man von seinen fast 180 Minuten auf keine einzige verzichten.

Der Anfang ist, nach einer furiosen Ouvertüre, recht ordentlich, eine kleine nachmittägliche Märchenstunde. Eine neue Nachbarin macht bei der Hollywoodschauspielerin Nikki Grace (Laura Dern) ihren Antrittsbesuch, bewundert das Haus, erzählt eine kleine Geschichte: Ein Junge ging hinaus, um zu spielen. Als er durch die Türe trat, verursachte er eine Spiegelung. Das Böse war geboren und folgte dem Jungen durch die Welt.

Lynch liebt die Reflexionen, die Doppelungen, die Doppelgänger - all die Mechanismen, wie die Welt sich gespiegelt sieht auf der Leinwand. Er ist durchaus geprägt vom klassischen Hollywood, seinen großen Filmen, aber wie er diese persönlich verarbeitet, sind sie kaum mehr kenntlich. Das ist meine "Philadelphia Story", hat er von seinem Erstling "Eraserhead" gesagt - halt ohne Jimmy Stewart. "Sunset Boulevard" ist einer der wichtigsten Filme für ihn - was man wissen sollte für "INLAND EMPIRE".

Die Märchentante ist eine richtige Hexe, Grace Zabriskie spielt sie, die Laura Palmers Mutter war in "Twin Peaks" und nun der Figur von Laura Dern, Nikki Grace, in einem Akt von Verschwesterung den Namen leiht. Ihr Blick ist stechend, messerscharf ihr osteuropäischer Akzent, mit dem sie harmlose Floskeln gefährlich klingen lässt. Sie habe gehört, Nikki habe eine neue Filmrolle, eine Ehegeschichte, die endet in brutal fucking murder. Jeremy Irons spielt ihren Regisseur, sein prätentiöses Gehabe lässt den Titel ganz selbstverständlich erscheinen: "On High in Blue Tomorrows". Ein Anfang scheint womöglich im polnischen Lodz lokalisierbar, bei einem mysteriösen Macker und Manipulator, der als Phantom bezeichnet wird, der Frauen aushält und dunkle Geschäfte macht. Es hat wohl einen Film vor dem Film gegeben, in Polen, "47" ist der Titel, aber ein Fluch liegt über ihm, die beiden Hauptdarsteller wurden ermordet.

Die Kamera kann nicht von Laura Dern lassen, aber irgendwie verwandelt sie sich unter Lynchs und unseren Blicken, aus Nikki wird Susan, die Frau, die sie spielt, sie beginnt eine Affäre und gerät in merkwürdigen Somnambulismus, und plötzlich steht sie sich selbst gegenüber, in und jenseits ihrer Rolle. In diesem Moment ist schon klar, dass die Kategorien Innen und Außen nicht mehr existieren, und die Gesetze des Erzählens und der Dramaturgie, die sie begründen. Lynch ist versessen drauf, Ängste direkt auf die Leinwand zu bringen, und die primäre Angst vor allem - was mag, beim Gang durch schlecht beleuchtete endlose Gänge hinter der nächsten Biegung lauern.

Bei jedem Schnitt muss man gewärtig sein, in einer anderen Welt, einer anderen Zeit sich wiederzufinden. Man kennt das sonst aus europäischen Filmen, von Dreyers "Vampyr" oder Resnais’ "Marienbad". In einem der schaurig-schönen Sechzigerjahre-Interieurs tanzen Girls fröhlich Locomotion, ein anderes wird von Hasen bewohnt, die sich die Zeit mit Bügeln und Konversation vertreiben - sie entstammen einer Serie auf Lynchs Website. Um Reklame zu machen für Laura Superstar, zog Lynch mit einer Kuh durch die USA - er sorgt dort selbst für den Verleih des Films.

Auch die Kamera hat er selbst geführt, eine alte digitale PD 150. Sie sorgt für die schwindelerregenden Unschärfen, wie man sie aus den Filmen der dreißiger Jahre kennt, sie nimmt den Bildern die Konturen, verstärkt die Materialität. Kurz nach ihrer Erfindung wurde die Fotografie immer auch im festen Glauben erprobt, man könne mit den neuen Apparaten das Unsichtbare direkt sichtbar machen - die Phantome, die Luftspiegelungen, die Vergangenheit, die Toten. So sieht das auch Lynch, weshalb er sich auch nie als Erzähler versteht, sondern als Sammler, als Dokumentarist.

Nikkis Leben bringt Grace Zabriskie auf den Punkt, durch eine weitere Geschichte, die vom Mädchen, das hinausging um zu spielen. Es ging nicht "durch den Marktplatz" - sondern "durch die Allee hinter dem Marktplatz" ... Ein Geraune hat sich im Internet um den Film entwickelt, seit seiner Präsentation im Wettbewerb in Venedig, ein Rattenschwanz von Deutungen und Lesarten, die am Sinn der Blogger-Gemeinden zweifeln lassen. Sie rauben dem Film seine Unschuld. Jede neue Variante stellt die vorherigen auf den Kopf. Der Geschwätzigkeit des Exegese-Betriebs setzt der Film das Rauschen der Bilder entgegen. Eine ruhige Selbstreflexion. Es geht um Prostitution, um den Verkauf von Bildern und Images. Das Ende ist tröstlich. Wenn wir erst mal unsere Todesszene durchgezogen haben, könnte es doch sein, dass die Kamera zurücksetzt, die Techniker und Akteure applaudieren. Die Nummer ist im Kasten.

Fritz Göttler © 2007 SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Auf Wunsch von Mr. Lynch wurde die Namensnennung "Inland Empire" in INLAND EMPIRE verändert.

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