Monday, May 21, 2007

"Schneewittchen und die sieben Huren" - Teil 2: Wirklichkeit als Phantasma

[Rüdiger Suchsland bei TELEPOLIS über David Lynch und INLAND EMPIRE]

( Fortsetzung )

Lynchs Kino ist ein Pandämonium, ein Versammlungsort böser Geister, und einer von ihnen ist der Regisseur selbst. Er hat ja im Prinzip nie etwas anderes gemacht als hier, er wollte das Kino dekonstruieren, um ihm im gleichen Moment doch seine Liebe zu erklären. Auch der Nekrophile ist ein Liebender und manchmal wird man in INLAND EMPIRE den Eindruck nicht los, dass hier der Regisseur ein gewissermaßen nekrophiles Verhältnis zu seinem Gegenstand hat. Schwarze Romantik, surreale Gothic Tale ist das in jedem Fall - und dies weist auch die Richtung der speziellen, gar nicht wirklich verborgenen Lynchschen Klassizität. Nicht zufällig ist "Vier Sieben", der auf einem polnischen Zigeunermärchen beruhende Film im Film dieser Amerikanischen Nacht ein deutsches Melo, und es bleibt dem Zuschauer überlassen, ob er dahinter eher den Gothic-Noir eines alten Emigranten vermutet, oder einen Ufa-Schinken aus der großen dunklen Zeit. Aber vielleicht lebt diese Leiche mehr, als auch Lynch glaubt. Und nur darum gelingt die Machtentfaltung der Simulation, die Vermischung der Realitätsebenen, die Lynch immer praktiziert. Denn auch er verfällt in jeder Negation des Kinos doch dessen Überwältigungsästhetik.

Lynch verabschiedet das Medium Film. Hat er zumindest selbst gesagt. Der Film sei tot. Aber was meint er damit? Nur das Zelluloid, überhaupt Hollywood oder gar das ganze Kino? Das hat Peter Greenaway, Lynchs Weggenosse in den späten 80ern, als das postmoderne Kino verkündet, als ihm Mitte der 90er nichts mehr einfiel. Deswegen muss es zwar noch nicht falsch sein, aber manchmal steht hinter solchen Behauptungen doch nur die Müdigkeit ihrer Urheber. Sei's drum. Von Lynch wie von Greenaway hat die Filmgeschichte bahnbrechende Werke zu verdanken, und warum sollen ihnen nicht irgendwann die Ideen ausgehen? Zudem straft INLAND EMPIRE die Rede vom Kinotod Lügen und wirkt eher wie eine Ausrede für eine gewisse visuelle Schlamperei, weil Lynch aus Geldmangel seine eigenen Ansprüche hier nicht hundertprozentig einlösen konnte.

Wichtiger als jeder Inhalt sind hier aber Stil und Methode des Films. In seiner Erzählweise und in den schmutzig-grauen, grobkörnigen Bildern liegt INLAND EMPIRE nahe am Experimentalfilm. Stilistisch lässt sich ein Teil des Ergebnisses wohl tatsächlich auch aus der Tatsache erklären, dass hier ein Regisseur zum ersten Mal in seinem Leben mit DV Camera und digitalem Filmmaterial gearbeitet hat, auch die Kamera selbst führte und mit dieser Technik zum Teil einfach nicht zurecht kam. Das Ergebnis sind hässliche, oft grobkörnige oder verwaschene Bilder, denen ein großer Teil des visuellen Zaubers und der bildlichen Traumqualität fehlt, der Lynchs Kino immer essentiell war. Auch die offenbar vorhandene Überfülle des Materials hat Lynch sichtlich nur zum Teil unter Kontrolle bekommen - der Film ist zu lang, ihm fehlen Konzentration und Disziplin. Darauf muss man nach dieser Feststellung dann allerdings auch nicht lange herumreiten. Denn viel interessanter ist die Frage, wo der Film trotz allem geglückt ist.

Mit diesem barockem, ebenso schwerblütigen wie faszinierenden, kathartischen, alptraumhaften Trip ins Innere des Kinos, ins Reich seiner Symbole, seiner Phantasmen und seiner Psychoanalyse, bewegt sich Lynch weg von seinen letzten, eher klassisch erzählten Filmen, zurück zu seinen Anfängen als Experimentalfilmer und zu den frühen 90ern, als er mit "Wild at Heart", der TV-Serie "Twin Peaks" und deren Kinofortsetzung "Fire walk with me" auf den Spuren der Gebrüder Grimm wandelte - ein magisch-komplexer Trip voller Paradoxien, narrativer Ellipsen, moderner Mythologien; ein surreales Endzeitszenario, in dem alles aus den Fugen ist.

Es verwundert, dass es auch nach rund 30 Jahren Lynch-Filmen immer noch Zuschauer gibt, die hier Verständlichkeit im herkömmlichen Sinn einfordern und dieses Kino dafür kritisieren, dass es etwas nicht leistet, was es gar nicht leisten will - als wäre nur eine Form, Filme zu machen, erlaubt. Im Gegensatz zu all jenen Regisseuren, die ihr Kino als Sinnstiftung und Harmonisierungsunternehmen begreifen, die die vielen Betrachtungsweisen der Zuschauer zu einer zu integrieren suchen, will Lynch seit jeher das Gegenteil: Er möchte verunsichern, Sinnangebote in Frage stellen, Dissonanzen und Disharmonien erzeugen, Wahrnehmung multiplizieren, Betrachter verstören. Seine wichtigste Zielgruppe ist seit jeher und auch hier die bürgerliche Mitte der Gesellschaft mit ihrem spezifischen Sicherheitsgefühl und ihren unterdrückten Seiten, mit ihrem offenen Konservatismus und latenten Puritanismen, mit der Doppelmoral, die Gewalt und Sexualität verdrängt.

Einschränkend ist dies aber ein Film, der einen deutlicher als andere Werke von Lynch daran erinnert, dass man, um die Wirklichkeit zu erschüttern, diese erst einmal anerkennen muss. Und genau das lässt Lynch vermissen. Wie andere postmoderne Filmemacher geht er in die eigene, selbstwidersprüchliche Falle: Er will zeigen, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint, dass es "Wirklichkeit" im Grunde nicht gibt, dass sie ein Phantasma ist. Aber er kann das nicht tun, wenn er dem Zuschauer schon vorher deutlich zu verstehen gibt, dass er an Wirklichkeit ja sowieso nicht glaubt. Wenn das Kino von Anfang an Schein ist, kann es mit der Offenbarung, dass sowieso alles Schein ist, keinen Eindruck mehr schinden.


Rüdiger Suchsland © 2007 TELEPOLIS. Auf Wunsch von Mr. Lynch wurde die Namensnennung INLAND EMPIRE in INLAND EMPIRE verändert.

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