Friday, May 04, 2007

"Das Unbewusste spricht polnisch"

[Boris Groys bei www.SCHNITT.de über INLAND EMIRE]

Der neue Film von David Lynch, INLAND EMPIRE, ist sicherlich ein Meisterwerk - eine Enzyklopädie aller Verfahren des modernen Films, die ohne jeden Zweifel einen herausragenden Platz in den Film Studies einnehmen wird. Es ist diese formale Seite, die vor allem auffällt. Ansonsten scheint der Film auf den ersten Blick eher dunkel, rätselhaft zu sein. Dieser Eindruck aber täuscht. INLAND EMPIRE macht vielmehr vieles deutlich, das in früheren Werken von Lynch ungesagt geblieben ist.

Alle Filme von David Lynch handeln von Menschen im Zustand der Gefährdung durch das Andere, Inhumane – von außen, aber vor allem von innen. Da kämpfen die Kräfte der Gnade gegen die Kräfte des Bösen, wobei der Mensch zum Teil als Spielball, zum Teil als Verkörperung dieser Kräfte auftritt. Dabei glaubt Lynch offensichtlich nicht an die Möglichkeit einer Versöhnung und einer finalen- Harmonie.

Lynch dreht zwar unterschiedliche Filme, aber er wiederholt immer den gleichen Konflikt. Die Zeit in Lynchs Filmen ist zirkulär. Man dreht sich im Kreise - im Kreise der Leidenschaften, der Gefährdungen, der Chancen, man kehrt zu Grundfiguren, zu Grundsituationen immer wieder zurück. Hier handelt es sich um die ewige Wiederkehr des Gleichen. Es ist in erster Linie dieses Insistente und Repetitive, das Lynchs Werk auszeichnet. Die bösen Geister sind immer da - sie lassen sich weder beschwichtigen noch definitiv besiegen. Diese Geister bilden vielmehr ein INLAND EMPIRE in der Psyche eines jeden Menschen - ein Empire, dessen Souverän der Mensch werden will und muß, aber nicht kann. Nun: Woher kommen aber all die bösen Geister? Da sie durch keine Psychoanalyse vertrieben werden können, müssen sie einen trans-individuellen, genuin fremden Ursprung haben. Man hat nämlich das Gefühl, daß die Figuren in Lynchs Filmen zwar in der amerikanischen Wirklichkeit situiert, aber zugleich "auch nicht ganz dabei" sind. Sie sind vielmehr "haunted", besessen von Geistern, die nicht individuelle, sondern, wenn man so will, welthistorische Geister sein müssen. Jetzt ist aber das Rätsel der früheren Filme von Lynch endlich gelöst: Böse Geister kommen aus Polen und, generell, aus Osteuropa. Osteuropa ist das geopolitische Unheimliche schlechthin – und bildet das kollektive Unbewußte des zivilisierten Westens. Das Unbewußte spricht Polnisch.

So etwas konnte man auch früher vermuten. Obwohl die meisten Helden der Lynch-Filme brave Amerikaner sind, sind die Kräfte, von denen sie besessen sind, offensichtlich eines anderen, außer-amerikanischen Ursprungs, denn sie folgen einer nicht-amerikanischen Logik – der Logik des Totalitarismus, der unkontrollierbaren Gewalt, des blinden Schicksals. Die geopolitische Verortung dieser Logik wird besonders deutlich, wenn man die Fotos anschaut, die Lynch in der letzten Zeit in Polen gemacht hat. Obwohl es augenscheinlich Bilder von gewöhnlichen Industrieanlagen sind, wird der Betrachter – auch aufgrund der Inschriften in deutscher Sprache, die auf diesen Fotos immer wieder zu finden sind, und wegen einer gewissen Atmosphäre, die sie subtil durchzieht – in erster Linie an Auschwitz erinnert, aber auch an die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, an die untergegangene deutsche Welt im Osten. In diesem Zusammenhang scheint mir ein Fotobild von New York besonders interessant zu sein, das Lynch aufgenommen hat und das die Stadt hinter einem Gitterzaun zeigt, der wie ein KZ-Gitter anmutet. Das Gefühl der historischen Gefährdung wird auch anhand einer Zeichnung Lynchs deutlich, die ein typisches amerikanisches Haus darstellt, das in Grau eingetaucht ist und von Flugzeugen, Raketen, fliegenden Untertassen und sonstigen unidentifizierten Flugobjekten umkreist und offensichtlich bedroht wird.

Die Grenze zwischen Bewußtsein und Unbewußtem koinzidiert bei Lynch mit der Grenze des Kalten Krieges zwischen Westen und Osten, wobei zwischen verschiedenen Arten des östlichen Totalitarismus nicht klar unterschieden wird. Die menschliche Psyche ist demgemäß tief gespalten zwischen West und Ost, sie befindet sich im ewigen Kalten Krieg mit sich selbst. Als Westler kann man nicht ruhig leben und schlafen, weil die eigenen Träume mit osteuropäischem Akzent sprechen und osteuropäisch depressiv, desolat aussehen. Man kann das äußere Imperium aber nicht effektiv genug regieren, wenn man das innere Imperium der Träume nicht unter die Kontrolle seiner wachen Subjektivität bringen kann. Die Heldin von INLAND EMPIRE löst die Aufgabe auf die traditionell amerikanische Weise: Sie erschießt ihr polnisches Unbewußtes. Eine gute Lösung. Im heutigen post-kommunistischen Osteuropa ist sie durchaus praktikabel. Die Frage bleibt nur, ob sie in anderen, außereuropäischen Regionen, z.B. im Irak, genauso gut funktioniert.

Boris Groys © 2007 www.SCHNITT.de. Auf Wunsch von Mr. Lynch wurde die Namensnennung "Inland Empire" in INLAND EMPIRE verändert.

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