Monday, May 14, 2007

"Eine absolute Freiheit des Denkens"

[Rüdiger Sturm im Interview mit David Lynch bei WELT ONLINE]

Mister Lynch, in Ihrem neuen Film spielt wie in „Blue Velvet“ und „Wild at Heart“ Laura Dern mit. Für die Oscar-Nominierung reichte es nur wieder nicht.

Der Film lief in den USA unter dem Radar. Er wurde nur in einem Kino in Los Angeles und einem in New York gezeigt. Aber ich bin überzeugt, in zwei Jahren werden die Leute zurückschauen und sagen: „Meine Güte, Laura Dern war unglaublich großartig.“

Bedauern Sie es, dass INLAND EMPIRE keine Beachtung findet?

Meine Filme bestehen aus Ideen, in die ich mich verliebt habe und deshalb realisieren wollte. Natürlich wäre es schön, wenn die ganze Welt ähnlich empfinden würde, aber das passiert leider nie. Es liegt außer meiner Kontrolle. Jemand wie Spielberg ist da viel glücklicher dran. Wie ich verliebt er sich in Ideen, aber die werden eben von Millionen gemocht. Für mich ist finanzieller Erfolg letztlich nur der Zuckerguss auf der Torte. Wenn ich ihn nicht bekomme, dann habe ich immer noch das gemacht, woran ich glaube. Ich halte meinen Kopf hoch und gehe weiter.

Vielleicht folgen Ihnen mehr Leute auf diesem Pfad, wenn Sie ihnen ein paar Interpretationshilfen geben.

Das wäre der falsche Ansatz. Ich weiß, was INLAND EMPIRE für mich bedeutet. Aber das verrate ich nicht, ich möchte doch den Zuschauern nicht die Erfahrung verderben. Wenn ich mir einen Film ansehe, will ich meine eigenen Erfahrungen sammeln und zu meinen eigenen Schlüssen kommen. Da stört es doch, wenn wir wissen, was der Regisseur denkt. Die Zuschauer müssten stärker ihrer Intuition vertrauen. Denn im Grunde wissen sie viel mehr, als sie glauben, aber sie gestehen es sich nicht ein. Dabei ist es doch die große Freude des Menschseins, Sachen für sich selbst herauszufinden.

Bei „Mulholland Drive“ waren Sie mit Hinweisen aber nicht so sparsam.

Ich gab den Franzosen ein paar Tipps, weil sie den Film noch mal ins Kino bringen wollten. Erst war ich total dagegen, aber dann wurde ich auf ihre Fragen neugierig. Allerdings wurde das Ganze dann im Internet veröffentlicht. Das soll auf jeden Fall eine Ausnahme bleiben.

Gibt es keine Leitthemen, die Ihre Filme verbinden?

Nein. Nach „Blue Velvet“ glaubten die Leute, ich würde immer nur von dunklen Geheimnissen erzählen, die sich hinter einer unschuldigen Oberfläche verbergen. Das ist Bullshit. In diesem einen Fall traf das zwar zu, sonst ist keiner meiner Filme wie der andere. Natürlich ist jede Geschichte eine Entdeckungsreise, auf der du Dinge erfährst, die du vorher nicht kanntest. Das gilt auch für INLAND EMPIRE. Das ist ungefähr so, als würdest du in einem Boot einen Kanal hinunterfahren. Dann stoppst du an einem Pier und betrittst ein Gebäude. Darin beginnst du alle möglichen Räume zu erkunden.

Diese Räume stecken allerdings voll extremer Fantasien.

Ich bewerte meine Vorstellungen nicht. Ich bekomme einfach Ideen, ich erkunde sie und dann übersetze ich sie in ein anderes Medium, so dass andere Menschen die gleichen Gefühle und Empfindungen haben können. Und natürlich brauche ich Kontraste aus Positivem und Negativem, denn sonst ist eine Geschichte nicht interessant.

Sie praktizieren bekanntermaßen Transzendentale Meditation. Bringt die Sie auf neue Gedanken?

Transzendentale Meditation erweitert dein Bewusstsein. Und wenn du ein tieferes Bewusstsein erlangt hast, dann kannst du Ideen auf einem subtileren Niveau erwischen. Das ist wie beim Angeln. Du kommst an die Fische heran, die unten in der Tiefe schwimmen.

Oder Sie können es auch mit einem Kartenspiel vergleichen: Sie erhalten immer mehr Karten, mit denen Sie etwas anfangen können. Und das Ziel ist es, eines Tages den vollen Stapel in der Hand zu halten. Wie viele Karten haben Sie?

40. Nein, das ist nur ein Scherz. Ich weiß nicht, wie viele ich habe. Ich bin glücklich, aber trotzdem möchte ich den ganzen Stapel.

Das bedeutet eigentlich, dass Ihre Filme im Lauf der Zeit immer subtiler geworden sein müssten.

Das vermag ich nicht zu beurteilen. Ich kann nur sagen, dass ich im Lauf der Jahre immer mehr Spaß an meiner Arbeit bekommen habe. Ich spürte weniger Stress und Ängste - alles, was meine Kreativität lähmte, nahm ab. Ich kam mit den Leuten besser zurecht, weil ich viel mehr Mitleid und Verständnis für sie spürte. Und auf diese Weise musste ich weniger Schlachten schlagen, und ich erhielt immer häufiger grünes Licht für meine Projekte.

Angeblich lernt man durch diese Technik auch Fliegen. Können Sie das auch?

Hier geht es um eine fortgeschrittene Stufe, die ich nicht beherrsche. Wer sie kann, der wird von einem euphorischen Glücksgefühl überwältigt. Aber dabei geht es nicht um Fliegen im strengen Sinne. Die Menschen dieser Stufe senden ein Gefühl des Friedens aus, das dazu beiträgt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Egal, ob das andere Leute für Unfug halten oder nicht. Aber das ist momentan sehr wichtig, denn die Erde steckt momentan in großen Schwierigkeiten.

Wie verträgt sich diese friedliebende Haltung mit Ihren Sympathien für die Republikaner?

Ich habe keine Sympathien für die Republikaner. Ich mochte nur Ronald Reagan - und das auch nur, weil ich das Bild schön fand, wie er in seiner Freizeit Büsche und Unterholz zurechtschnitt. Ich interessiere mich nicht für Politik - das Ganze ist mir zu fremd. Aber ich bin natürlich gegen jede Art von Aggression und Krieg. Meditation bietet eine viel, viel bessere Lösung.

Aber die allein scheint Ihnen nicht zum Glück zu reichen. Sie haben auch Rituale, auf die Sie nicht verzichten können.

Das kann man nicht miteinander vergleichen. Ich habe einfach einen strukturierten Tagesablauf. Ich esse meistens zu einer bestimmten Zeit und eine bestimmte Sache, bis ich dieses Gericht nicht mehr sehen kann und etwas Neues für mich entdecke. Außerdem mag ich minimalistisches Design.

Woher kommt dieses Bedürfnis nach Struktur?

Es ist kein tiefes Bedürfnis. Aber wenn du zuviel Chaos in deinem Alltag hast, kannst du nicht so gut denken. Das ist das Gleiche wie bei einem unaufgeräumten Zimmer. Hängst du darin ein Bild auf, verliert es an Wirkung. Aber sobald du Ordnung schaffst, knallt es richtig auf dich rein.

Sie leben seit Jahrzehnten in Los Angeles. Ist das auch für Ihr Befinden wichtig?

Sehr. Ich liebe das Licht dieser Stadt, und ich spüre in ihrer Luft ungezählte Möglichkeiten, eine absolute Freiheit des Denkens. Und wenn ich abends den Duft der Bäume rieche, dann weckt das Assoziationen an das alte Hollywood. In dieser Brise scheint das Goldene Zeitalter noch zu leben.

Aber in Ihrem Schaffen kehren Sie dieser Hochglanz-Ära den Rücken. Die Bilder von INLAND EMPIRE sind mit einer billigen DV-Kamera gedreht.

Aber die Flexibilität, die einem digitale Kameras beim Dreh erlauben, ist durch nichts zu übertreffen. Ich werde nie mehr zum Zelluloid zurückkehren. Film als Medium ist ein Dinosaurier, der im Teerloch versinkt. Es ist schwer, langsam. Die Kopien haben unterschiedliche Qualität, sie verschmutzen, sie reißen. Natürlich ist der Look wunderschön, aber ihn zu erreichen, ist der reine Kopfschmerz. Abgesehen davon kann ich die Bildqualität von digitalen Aufnahmen optimieren. Da gibt es unzählige Manipulationsmethoden.

Glauben Sie denn wenigstens noch an das Kino? Oder sollen wir Ihre Filme lieber künftig am Computer oder auf unserem Handy anschaut?

Ich habe auch schon gehört, dass so etwas möglich sein soll. Wer einen Film in Briefmarkengröße sieht, sieht ihn im Endeffekt gar nicht. Als Regisseur arbeitest du so hart daran, damit alle Elemente vom Ton bis zum Bild das richtige Gefühl vermitteln. Schon die falsche Lautstärke kann den Effekt zerstören. Deshalb hoffe ich, dass es nach wie vor die große Leinwand des Kinos gehen wird. Die Vorstellung, dass jemand meine Filme auf einem Computerbildschirm oder seinem Telefon sieht, bricht mir das Herz. Aber andererseits muss ich mich daran gewöhnen, denn diese Entwicklung ist unausweichlich. Und solange ich meine Ideen umsetzen kann, bin ich glücklich.


Rüdiger Sturm © 2007 WELT ONLINE. Auf Wunsch von Mr. Lynch wurde die Namensnennung "Inland Empire" in INLAND EMPIRE verändert.

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